Mittwoch, 7. September 2011

"Ich kann das nicht!" ...?

Viel zu oft stellen wir unsere Vorstellungen vor das Leben.
KÖNNEN wir etwas nicht? Oder wollen wir es nicht? Oder haben wir einfach Angst, die uns festhält?

Ich bekam dieses Video zugesendet und bin tief berührt von der Glückseligkeit des Sohnes und der grenzenlosen Liebe die all das trägt und seinem Vater "Unmögliches" möglich macht!



Dienstag, 6. September 2011

Tod und Trauer einen Platz geben

Der Psychologe Carl Rogers sagte, dass das Persönlichste zugleich das Allgemeingültigste ist. Wenn wir unsere Erfahrungen miteinander teilen, uns überhaupt mitteilen, so kann daraus jeder etwas für sich lernen und verarbeiten.
Manchmal reicht hierzu vielleicht schon das Wissen darum: „Der geht’s ja genauso wie mir!“ ... und das Gefühl mit allem allein zu sein darf weichen.


Mein Vater ist heute vor 7 Jahren ganz plötzlich durch einen Unfall in den Bergen gestorben.

Genau wie es mir und meiner Familie damals passierte, bricht in solchen Situationen die unabwendbare und unleugbare Wirklichkeit mit all ihrer Sinnlosigkeit über uns Menschen herein und kann uns damit lähmen, verschlingen, an unserem Leben zweifeln lassen.
Wenn wir einen uns nahestehenden Menschen verlieren, so wehrt sich vieles in uns gegen diese Tatsache.
Wenn wir den Sinn in den Dingen erkennen können, fällt es uns meist leichter, sie zu verstehen und zu akzeptieren. Doch alles in uns wehrt sich dagegen „Sinn“ zu erkennen, wenn ein geliebter Mensch von Krankheit gezeichnet in einem Bett liegt und nicht mehr laufen, sprechen oder gar bei Bewusstsein sein kann – wenn ein kleines Kind eine tödliche Krankheit bekommt, wenn ein Baby bereits mit einem Loch im Herzen geboren wird, wenn ein Mensch in der Blüte seines Lebens urplötzlich daraus entrissen wird...
So wie andere Menschen uns keine Entscheidungen oder schwierigen Konfrontationen abnehmen können, so können Sie uns auch keinen Sinn für diese Ereignisse geben. Dennoch können uns Gespräche mit anderen Menschen und ein Teilen der Erlebnisse oder der Sinnsuche wichtige Impulse geben oder einfach das Gefühl vermitteln nicht allein zu sein.

In meiner sehr verschwommenen und teilweise aus Erzählungen der anderen zusammengeflickten Erinnerung, habe ich über eine Woche lang geweint, geschrieen wie am Spieß, gewimmert und geflucht. Ich war sehr laut und meine Schreie sehr durchdringend. Gestoppt wurde dies nur gelegentlich von meiner Erschöpfung. Nach kurzem Schlaf erwachte ich und es begann erneut. Mein Körper war nicht in der Lage den Schmerz in sich zu halten. Es gab kein Denken mehr, nur Fühlen. Der Schmerz überwältigte mein Sein und musste hinausgeschleudert werden. Ich war nicht tapfer oder hielt den Kopf hoch. Ich konnte nicht still sein. Ich konnte mich nicht zusammenreißen. Mein Geist war nicht in der Lage mir dies einzuflüstern.
Aller Zuspruch und Versuche mich zu trösten oder meiner Trauer beschwichtigend zu begegnen, erreichten mich nicht. Trost, der in meinem Inneren Bestand haben konnte, musste für mich erlebbar, fühlbar sein.
Die mir nahestehenden Menschen haben sich über mich unterhalten, sie waren verzweifelt, weil ich mich einfach nicht beruhigen konnte. Manche glaubten, dass ich zerbrechen und es nicht schaffen würde. Eine Frau sagte damals: „Ihr täuscht euch. Sie wird als Erste darüber hinweg sein.“ Mit kurzem Blick auf das schreiende Wesen, das ich war, glaubte ihr keiner der anderen. Ich weiß, dass es damals für alle, die mich erlebt haben, eine schwere Zeit war. LEID zu sehen oder zu erleben ist für die meisten schwerer, als eine schreckliche Tatsache zu begreifen und anzunehmen.

In der zweiten Woche habe ich mit einer sehr guten Freundin sprechen können, die ihren Vater bereits als Kind verloren hatte, ebenfalls durch einen Unfall. Lange Zeit sprach nur sie. Ich hörte ihr zu und spürte, dass es jemanden gab, der verstehen konnte, dass meine Welt plötzlich nur noch wie von dichten Nebeln gedämpft wahrzunehmen war. Ich konnte nicht verstehen, dass sie sich unaufhaltsam weiterdrehte, wo doch ein mir so wichtiger Mensch einfach weg war! So viele Emotionen mischten mit. Ich fühlte mich, als sei auch ich nicht mehr in dieser Welt, sondern irgendwo hinausgeschleudert in einen anderen Zustand.
Irgendwann lag ich erschöpft auf dem Bett und erinnerte mich daran, dass mein Vater uns schon Jahre zuvor immer sagte, dass er niemals lange krank sein und „dahinsiechen“ möchte. Sein Wunsch wäre, nach einem Marathon oder 100-km-Lauf einfach hinter der Ziellinie mit einem Herzinfarkt oder Hirnschlag zu sterben. In unserer Familie wurde das Thema Tod also nicht ausgeklammert oder verschwiegen. Als Kind und Jugendliche wollte ich diese Worte natürlich nicht hören! Mein Vater war schließlich jung und gesund und außerdem soll niemand sterben, den man liebt. Doch in den Momenten der Trauer und Erschöpfung kamen mir seine Äußerungen in Erinnerung und ein Lächeln zuckte zaghaft über mein Gesicht. „Er hat es tatsächlich geschafft.“ In diesem Moment drang etwas sehr Wertvolles in mein Bewusstsein, was mich seitdem nicht mehr verlassen hat.
Dank der dortigen Bergwacht haben wir die letzten sehr fröhlichen und dankbaren Worte meines Vaters, welche im Gipfelkreuzbuch zu finden waren, erhalten. Als ich sie las, konnte ich in mir ganz deutlich spüren, dass ich mich für meinen Vater auch freuen kann.
Im Angesicht des Todes verlieren sonst so wichtige Fragen wie „Darf ich das? Ist das gesellschaftlich akzeptiert? Was werden die anderen denken?!“ ihre Bedeutung. Ich habe auf der Beerdigung mit anderen Trauernden genau darüber gesprochen und sowohl meine Freude für ihn, als auch meine Trauer ausgedrückt. Es steht völlig außer Frage, dass man einen geliebten Menschen „behalten“ will, es unerträglich ist, diesen zu vermissen und mit dem Wissen zu leben, was man alles nie wieder gemeinsam erleben wird!

Ich konnte SINN in diesem Geschehen finden. Dafür bin ich unendlich dankbar.
Dieses Erlebnis brachte sehr viele dunkle Stunden, aber auch viel Klarheit in mein Leben. Es öffnete meinen Blick auf das Leben in vielfältiger Weise.

Und jetzt, Jahre danach, lese ich in einem Buch, dass bei vielen Naturvölkern dieser Erde ein ungehemmtes Schreien, Stöhnen und Klagen als Heilmittel bei körperlichen oder seelischen Schmerzen eingesetzt wird. Der Körper erhält Erlösung und Milderung all jener Spannung, die der Schmerz und die Angst auslösen.
Damals haben weder ich selbst noch die mir nahestehenden Menschen darum gewusst. Ich bin zutiefst dankbar, dass ich von niemandem gehemmt wurde und mein Schreien meinen Körper von diesem Schmerz erlösen durfte.

Diese persönliche Geschichte schreibe ich heute auf, weil mich das Zitat von Carl Rogers dazu bewegt hat. Nur deswegen teile ich sie nach all der Zeit mit. Die meisten Menschen tendieren dazu, den Tod und das Sterben zu verdrängen und aus Gesprächen herauszuhalten, womit sie eine Kultur unterstützen, in die der Tod nur plötzlich hereinbrechen kann, da ihm eine Anwesenheit im Leben und Alltag nicht gestattet wird.
Möge mein Teilen dieses Erlebnisses anderen Menschen helfen den Tod und all seine Unerbittlichkeit mit anderen Augen zu sehen, andere Möglichkeiten und Werte zuzulassen und vor allem: dem Tod einen Platz in unserem Leben zuzugestehen.
Lassen wir dies zu, statt zu verdängen, so bekommen wir die Chance zur Wandlung und zur Hingabe an die Gegenwart.

An dieser Stelle möchte ich mit einem Zitat aus Dirk Grossers Buch „Selbst ein Anfang sein“ enden, das wunderbar umschreibt, was beim Schreiben und Nacherleben in mir vorging und mich begleitete:
„Wir selbst können Worte schreiben oder sprechen, die im Inneren anderer Menschen eine Flamme entzünden. Wir können die Zerbrechlichkeit des Lebens und seine immense Zärtlichkeit in uns spüren und diese Zärtlichkeit durch unser achtsames Sein an die Welt zurückgeben. Jedes Wesen, das stirbt, war sein eigenes Wunder, welches für eine gewisse Zeitspanne aufschien, wirklich hier war, mit anderen Wesen verbunden war und unseren Kosmos um eine entscheidende Facette bereicherte.“